Referat zu 30 Jahre rechtlicher Betreuung von Dr. Hess
Dr. med. Michael Hess
16.09.2022
30 Jahre rechtliche Betreuung
– eine Bilanz aus Sicht eines psychiatrischen Sachverständigen*
Das Betreuungsgesetz ist am 1. Januar 1992 inkraftgetreten. Die rechtliche Betreuung hat die bis dahin geltenden vormundschaftlichen Gesetze (Gebrechlichkeitspflegschaft/Entmündigung) ersetzt.
Hat die rechtliche Betreuung die Erwartungen auf einen angemessenen Umgang mit psychisch Kranken und Behinderten erfüllt ?
– Eine Bilanz nach 30 Jahren Erfahrung aus Sicht eines medizinischen Sachverständigen –
Anliegen des Gesetzes ist, Menschen, die wegen einer psychischen Krankheit/einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht selbst regeln können und deshalb auf die Hilfe anderer angewiesen sind, zu unterstützen und zu schützen (§ 1896 BGB).
Nahezu jede psychische Erkrankung oder seelisch/geistige Behinderung ist mit negativen sozialen Auswirkungen verbunden, die mit üblichen Verfahren der psychiatrischen Behandlung nicht oder nur unzulänglich zu beseitigen oder abzumindern sind.
Den Betroffenen mangelt es krankheitsbedingt an der Fähigkeit, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Mängel bei der Bewältigung des Lebensalltags bestehen bei dementiellbedingten Einschränkungen der Geistestätigkeit, Psychosen, bei geistigen Behinderungen, Hirnschädigungen nach Apoplex, Schädel-Hirn-Traumen, nach Behandlung von Hirntumoren, Abhängigkeitserkrankungen,
Persönlichkeitsstörungen …
Hilfe- und Regelungsbedarf besteht in der Regel in den Bereichen Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten, Schriftverkehr mit Behörden und Versicherungen, Aufenthaltsbestimmung, Heimangelegenheiten.
Das Sachverständigengutachten – ein wichtiges Instrument des Gerichts
Ein Betreuer darf – von Ausnahmefällen abgesehen – nur bestellt werden, wenn das Gericht ein Sachverständigengutachten über die Notwendigkeit und den Umfang der Betreuung eingeholt hat. Das Betreuungsgericht ist auf eine gutachterliche Stellungnahme angewiesen, in welchem dargelegt wird, dass der Hilfebedarf durch eine psychische Störung oder geistige Behinderung verursacht wird.
Der jeweilige Regelungs- und Hilfebedarf kann bestimmten Diagnosegruppen zugeordnet werden :
- Bei fortgeschrittener Demenz sind umfassende Hilfen in fast allen Lebensbereichen infolge schweren Orientierungsstörungen erforderlich.
- Bei Vorliegen von Psychosen steht infolge mangelnder Krankheiteinsicht die Sicherstellung der medizinischen Behandlung im Vordergrund.
- Bei Abhängigkeitserkrankungen sind medizinische und soziale Rehabilitationsmaßnahmen angezeigt. Oft ist zusätzlich eine Schuldenregulierung erforderlich.
- Junge Erwachsene mit dissozialem Verhalten können die Verantwortung für sich selbst nur bedingt übernehmen und sind gesellschaftlich nicht integriert. Ihre Persönlichkeitsentwicklung ist nicht abgeschlossen und die Fähigkeit, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen, wenig ausgeprägt. Häufig handelt es sich um Schulabrecher. Sie habe keine abgeschlossene berufliche Ausbildung, gehen Verpflichtungen ein, denen sie nicht nachkommen können. Sie sind von Wohnungslosigkeit betroffen, werden kriminell und sind für Drogenkonsum anfällig … Die Aufgabe der Betreuer besteht darin, die sozialen Defizite der Betroffenen aufzufangen und sie mit dem Ziel der sozialen Eingliederung zu begleiten.
- Geistig Behinderte benötigen ab Vollendung des 18. Lebensjahres aufgrund ihres Intelligenzdefizites einen Betreuer. In der Regel stehen Eltern hierfür zur Verfügung. Der Aufgabenbereich ist umfassend.
- Bei Personen mit Hirnschädigungen nach Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma, Zustand nach Hirnoperationen ist das Schädigungsbild unterschiedlich ausgeprägt. Dementsprechend ist der Hilfebedarf unterschiedlich.
- Menschen mit sozialen Anpassungsstörungen bilden eine große Gruppe in der Begutachtung. Die Einrichtung einer Betreuung kann helfen, soziale Probleme in den Griff zu bekommen.
- Auch körperliche Erkrankungen können Anlass für die Bestellung eines Betreuers sein, etwa bei dauernder Bewegungsunfähigkeit.
Die rechtliche Betreuung kann neben der Hilfestellung auch Einschränkungen für den Betroffenen bedeuten:
- Unterbringung in eine anerkannte Einrichtung zur Sicherstellung der Pflege und zur Heilbehandlung in einer psychiatrischen Klinik, unterbringungsähnliche Freiheitsbeschränkungen in Pflegeheimen zur Schutz des Betroffenen vor erheblichen Gesundheitsgefahren (Stürze aus dem Pflegebett etc.)
- Erweiterung der Betreuung durch Aufnahme eines Einwilligungsvorbehaltes bei Unfähigkeit im Umgang mit Vermögen
Mittels der rechtlichen Betreuung kann Folgendes geregelt werden:
- Eine sogenannte Kontrollbetreuung wird durchgeführt, wenn Zweifel besteht an der ordnungsgemäßen Verrichtung von Bevollmächtigten und Betreuern
- Überprüfung der Betreuung: regelmäßig ist zu überprüfen, ob die Voraussetzungen, die Anlass zur Einrichtung einer Betreuung geführt haben, noch bestehen. Dementsprechend muss die Betreuung aufgehoben oder weitergeführt werden.
- Patientenverfügungen sind häufig interpretierungsbedürftig. In diesen Fällen kann das Betreuungsgericht als letzte Möglichkeit zur Klärung des Sachverhaltes angerufen werden.
- In seltenen Fällen wird die Wirksamkeit des Testamentes angezweifelt. Anhand der Krankenakten sind Beweise dafür zu erbringen, wonach der Erblasser zum Zeitpunkt der Abfassung des Testaments geschäftsunfähig (testierunfähig) war.
Der freie Wille ist entscheidend – er ist zu beachten
Die Einrichtung der rechtlichen Betreuung setzt die Einwilligung des Betroffenen voraus. Die wesentliche Aufgabe des medizinischen Sachverständigen besteht darin, festzustellen, ob der Betroffene über einen freien Willen verfügt oder ob dieser krankheitsbedingt eingeschränkt oder nicht vorhanden ist. Unabdingbar ist das Gespräch mit dem Betroffenen. Befunde über den Gesundheitszustand des Betroffenen zu erheben, können das Gespräch mit dem Betroffenen nicht ersetzen und genügen nicht.
Aussicht:
Zum 1. Januar 2023 tritt das neue Betreuungsrecht in Kraft. Es stärkt das Selbstbestimmungsrecht und die Autonomie unterstützungsbedürftiger Menschen. Es orientiert sich mehr am Willen der betreuten Person. Die Betreuer werden durch das Gericht stärker kontrolliert. Ein Betreuungsregister wird eingeführt. Die persönlichen und fachlichen Mindestvoraussetzungen für Betreuer werden festgelegt.
Zusammenfassung
Die rechtliche Betreuung ist ein wichtiges Angebot des Staates für psychisch Kranke und Behinderte zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit und der sozialen Rehabilitation. Sie bietet Begleitung, Unterstützung und Schutz bei der Bewältigung des Alltags im Falle von krankheitsbedingten sozialen Defiziten. Der gerichtlich bestellte Betreuer kann dem betroffenen psychisch Kranken konkrete Lösungen seiner Probleme aufzeigen. In der Regel übernimmt der Betreuer die Besorgung der Angelegenheiten des Betreuten. Die rechtliche Betreuung kann zur sozialen Integration psychisch Kranker wirksam beitragen und die medizinische Behandlung wirksam ergänzen. Aus Sicht des medizinischen Sachverständigen hat die seit 1992 bestehende rechtliche Betreuung die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt.
*Die Ausführungen beruhen auf persönlichen jahrelangen Erfahrungen als psychiatrischer Sachverständiger. Der Inhalt erhebt keinen wissenschaftlichen Anspruch. Rechtliche Aussagen stehen unter Vorbehalt.
Aufgrund der besseren Lesbarkeit wird im Text die männliche Form verwendet. Selbstverständlich ist auch die weibliche Form gemeint.
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V-Sitzung 13. Juli 2022
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